Maximal minimal

Hebel_121

Interview ARFAO mit Ausstellungsraum Klingental
Fotos: © Guillaume Musset

Gerda Maise (GM)
Daniel Göttin (DG)
A Roland for an Oliver (ARFAO)

ARFAO: Wie seht ihr die Zusammenarbeit mit der Plattform ARFAO?

GM: Als ARFAO erstmals angefragt hat, waren wir mit unserem Kunstraum Hebel_121 bereits 10 Jahre unterwegs. Wir haben also seit Anfang mitgemacht. Seither liegen die Ausgaben immer in unserem Kunstraum auf. Wir haben sehr unterschiedliches Publikum, von den Nachbarn über internationale Künstler*innen und Kurator*innen bis hin zu Kolleg*innen von nah und fern. ARFAO ist ein praktisches Format, um die Leute über das Geschehen in den Basler Kunsträumen zu informieren.

ARFAO: Wie arbeitet ihr mit den Gegebenheiten vor Ort in Bezug auf eure Ausstellungen?

DG: Das geschieht immer aufgrund unserer Eck-Situation im EG und den beiden grossen
Schaufenstern. Zu Beginn des Kalenderjahres in der dunklen Jahreszeit präsentieren wir immer eine
Arbeit mit Licht oder mit Videoprojektionen. In den übrigen Jahreszeiten arbeiten wir mit den natürlichen Lichtverhältnissen, dabei bleibt die Schaufensterbeleuchtung während der ganzen Nacht eingeschaltet.

GM: Während die Künstler*innen ihre Arbeit aufbauen, bleibt die Schaufensterfront auch tagsüber immer offen, damit die Leute sehen, wie gearbeitet wird.

GM: Im Hebel_121 sieht man nicht erst die fertige Präsentation, sondern den gesamten Aufbauprozess. Wir beide teilen uns die Aufgaben. Daniel ist quasi der «Nothelfer», Berater und Assistent der Künstler*innen beim Aufbau und ich praktische Beratung, das Back Office, Bed & Breakfast und Taxidienst. Kommt dazu, dass wir im Haus eine Mansarde haben, wo wir die eingeladenen Künstler*innen beherbergen können.

ARFAO: Wie findet ihr die Künstler*innen, die bei euch ausstellen?

DG: Wir laden die Künstler*innen ein, wir fragen gezielt an, man kann sich nicht bewerben. Als Kriterium unserer Auswahl interessieren uns raumspezifische Arbeiten und Installationen vor allem im vorderen Raum. Die Künstler*innen reisen an und bauen ihre Arbeit vor Ort mit unserer Assistenz selbst auf.

GM: Man lernt dabei extrem viel voneinander. Beiderseits. Man lernt so auch die unterschiedlichen Kulturen direkt kennen.

GM: Für mich persönlich ist es ganz wichtig, von den Werken selbst auszugehen. Ich komme von der Kunst zu den Künstler*innen und nicht von den Künstler*innen zur Kunst. Ich muss das Werk kennenlernen, erst in zweiter Linie die Künstler*innen. Die Eingeladenen sollten dann auch den Raum kennenlernen, den Grundriss lesen oder über Fotografien den Zugang finden können. Es geht darum, Künstler*innen auszuwählen, die mit der örtlichen Situation, dem Raum und der speziellen Architektur umgehen und sich mit einer Installation auf die Gegebenheiten vor Ort einlassen können. Wir sind an der Ecke Hebelstrasse/St. Johanns-Ring quasi auf dem Gehsteig und 24 Stunden sichtbar.

DG: Wir kennen in der Regel alle Künstler*innen und ihre Arbeitsweise aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen persönlich. Dabei achten wir auf einen gewissen Ausgleich zwischen den Generationen und den Geschlechtern. Auch müssen wir flexibel bleiben, da es immer gewisse Unwägbarkeiten gibt, welche Wechsel im Programm bewirken.

GM: Es sind die Bedingungen des Raums und der Zeit, die bestimmen mit wem, was und wann möglich ist. Wir wissen und kennen zwar, was die Künstler*innen zuvor schon gemacht haben, aber das Konzept oder der Plan ändern sich im Hebel_121 meistens bei Anwendung.

ARFAO: Es entwickelt sich dann vor Ort?

GM: Richtig. Weil die Künstler*innen ja ganz unterschiedlich konzeptuell arbeiten und wir sie herausfordern, im Hebel_121 was Spezifisches zu konkretisieren.

DG: Das soll auch so sein, denn dadurch bleibt es spannend.

ARFAO: Wie finanziert ihr eurer Programm?

GM: 2020 haben wir zum ersten Mal für ein Kunstprojekt finanzielle Unterstützung von der Kulturpauschale Basel-Stadt erhalten. Davor hatten wir grosses Glück. 2018 hat die Fondation Nestlé pour l’Art Hebel_121 für eine Partnerschaft ausgewählt, mit einer jährlichen finanziellen Unterstützung. Das konnten wir damals zuerst fast nicht glauben und haben dann unter der angegebenen Telefonnummer angerufen. Und tatsächlich hat uns die Fondation diese Partnerschaft über 2 Jahre angeboten, weil wir bereits 20 Jahre international aktiv gewesen sind.

ARFAO: Und wie habt ihr euch bis dato finanziert?

GM: Maximal minimal. Mit eigenen Mitteln aus meinen 35 Jahren ‚Knochenarbeit‘ in unterschiedlichsten privaten und öffentlichen Institutionen und Firmen. Es würde diesen Rahmen sprengen, alles zu erzählen. Es ist ein langer Traum, aber der ist jetzt mit Hebel_121 verwirklicht. Ich bin ein Nachkriegskind und wusste immer, dass ich im reichsten Land der Welt nicht über zu wenig Geld klagen will. Ich bin nicht reich geboren, aber es sollte mir doch gelingen, mit eigenen Fähigkeiten und Mitteln etwas aufzubauen, das ich persönlich richtig und wichtig finde. In der Schweiz und als Frau.

DG: Alles läuft low budget. Materialschlachten gibt es bei uns in diesem Sinne nicht. Wir kommunizieren das auch vorher. Unser Motto war immer, aus wenig etwas machen. Austausch ist einer der Gründe, Künstler*innen aus andern Ländern einzuladen, welche im selben Sinn wie wir aus Not einen eigenen, privaten Kunstraum gegründet haben.

GM: Es geht ja um die Kunst. Die Künstler*innen meiner Generation, die damals aus den Institutionen und Galerien rausgingen, die hier auszustellen, das ist für mich auch eine wichtige Sache.

DG: Wir haben sehr positive Erfahrungen mit Künstler*innen aus unserer Generation gemacht, die zum Teil bereits prominent international unterwegs sind. Sie haben grosse Erfahrungen auf unterschiedlichsten Ebenen der Kunst. Mit jüngeren Künstler*innen ist das oft nicht einfach. Sie sind noch weniger klar in ihren eigenen Konzepten, haben weniger praktische Erfahrung, dafür manchmal umso mehr Ansprüche und Erwartungen.

ARFAO: Ihr agiert in dem Sinne also in der Tradition der Institutionskritik?

GM: Eher im Sinn der Unabhängigkeit und eigenen Entscheidungsfreiheit. Für mich gehören Kunst und Leben zusammen. Für mich ist Kunst ein Nahrungsmittel für Geist und Seele. Kunst ist existentiell.

«Maximal minimal.»

ARFAO: Wie genau habt ihr euer Programm damals gestartet?

GM: Begonnen hat es mit einem Austauschprogramm mit Künstler*innen aus Daniels Generation und aufgrund von verschiedenen Künstlerresidenzen im Ausland. Für mich persönlich hat das Ganze Unterfangen damals begonnen, als ich 1965/66 als Austauschschülerin ein Jahr in Los Angeles verbrachte. Man kann sich leicht vorstellen, dass ich nach der Rückkehr in die Schweiz nicht mehr zu domestizieren war. Kam dazu, dass Daniel später als erster Künstler in einer iaab Residency (heute Atelier Mondial) in Australien war, anschliessend kamen ein halbjähriger Aufenthalt bei der Chinati Foundation in Marfa bei Donald Judd, mehrmals in Japan und auch in New York dazu. Diese Austauschgeschichten waren am Anfang sozusagen die Basis für den Kunstraum Hebel_121.

ARFAO: Diese Begegnungen, Erfahrungen und Kontakte, die ihr beide im Ausland gemacht habt, sind also der konzeptuelle Grundstein für euer Projekt gewesen.

GM: Ja, es geht grundlegend um den internationalen kulturellen Austausch.

DG: In einem grösseren Netz und über die Grenzen von Basel hinaus. Das ist schon immer unsere Vorstellung gewesen. Zum Teil erhalten die Künstler*innen im Hebel_121 zum ersten Mal eine Ausstellung in der Schweiz. Für das Publikum vor Ort ist es spannend zu sehen, was es an guter und spannender Kunst ausserhalb von Basel und der Schweiz gibt.

GM: Der internationale Austausch geschieht mit Künstler*innen auf derselben Ebene. Mit selbstorganisierten Kunsträumen. Mit Künstler*innen, die ausserhalb der grossen Institutionen unterwegs sind. Es geht auch darum, sich gegenseitig immer wieder zu ermutigen, etwas Neues zu

wagen, ohne permanent am öffentlichen oder privaten Tropf zu hängen. Mir persönlich war die Freiheit immer wichtiger als die Sicherheit. Und Kunst hat mit Freiheit zu tun.

ARFAO: Dem entspricht auch eure Perspektive für die Zukunft, in der es gewisse Sicherheiten im Kulturbetrieb vermutlich weniger geben wird?

DG: Wir sind uns das ja bereits gewohnt!

GM: In der Finanzkrise vor 12 Jahren fragten sie nach unserer Krise im Hebel_121. Wir haben darauf geantwortet, bei uns seien Krisen normal. Wir haben von Anfang an gelernt damit umzugehen. Das ist die Devise. Aber um nochmals auf unser Konzept zurückzukommen. Als Daniel in der artist residency bei Donald Judd’s Chinati Foundation in Marfa war, hat mich Judd’s Idee sehr inspiriert. Wir hatten seit 1985 diese ehemalige Bäckerei gemietet und konnten die Räume dann 1993 kaufen. So habe ich mich damals entschlossen, nach dem Vorbild von Judd, in der Schweiz und im Rahmen meiner Möglichkeiten den Hebel_121 aufzubauen. Einen Ort, wo man Künstler*innen einladen kann, die verstehen, dass man Kunst auch anders präsentieren kann. Nicht einfach einen Laden oder eine Galerie eröffnen, wo Kunst gekauft und verkauft wird. Natürlich dies alles im maximal-minimalen Format, mit maximal-minimalen Budget.

DG: Der Kunstraum ist ja zugleich auch der Ort, an dem wir leben, Hebel_121, er ist Teil unserer Wohnung. Wir leben quasi inmitten den Ausstellungen und Installationen, die Kunst haben wir immer um und bei uns. Das ist das Tolle daran. In der Regel wird alle zwei Monate umgebaut und neu installiert.

GM: Jeden Samstag ab 16 Uhr habe ich Sprechstunde. Ich bin immer da. Vielleicht einmal im Jahr, wenn wir beide gemeinsam mit einem eigenen Projekt im Ausland sind, hütet ein Freund von uns. Und wenn wir selbst nicht reisen können, holen wir uns die Welt so nach Hause. Alle zwei Monate eine neue.

DG: Darin liegt für uns der Unterschied zu einer Galerie. Wir vertreten keine Künstler*innen. Wir bieten ihnen nur die Möglichkeit im Hebel_121 Kunst zu präsentieren und damit selbst neue Kontakte zu knüpfen. Umgekehrt wird das im Vergleich nur relativ wenig genutzt. Kommt das Angebot für Passant*innen und das Publikum dazu, Tag und Nacht Kunst zu sehen.

GM: Manchmal fragen mich die Leute aus der älteren, aber auch jüngeren Generation – und vor allem Männer – wie lange ich das hier mit dem Hebel_121 eigentlich noch machen wolle. Das sei ja brotlos und ich hätte Illusionen. Für mich ist es so, dass ich mir schon als junge Frau Folgendes gedacht habe: Zuerst will ich zu den etwa zehn Prozent Frauen auf der Welt gehören, die Eigentum besitzen. Dann will ich mit dem ev. Mehrwert an Raum, Zeit oder Geld, das durch kluges Wirtschaften mit den eigenen Ressourcen entsteht, das machen können, was ich richtig finde. Für mich ist das die eigentliche Lebenskunst. Ich mache das bis ich umfalle und ich will hundert werden!

DG: Es geht also zum Glück noch eine Weile. Wir setzen da insgesamt eher auf Langfristigkeit. Und das merken wir auch am unmittelbaren Umfeld hier in der Nachbarschaft.

GM: Kunst hat viel mit Zeit zu tun. Die Kunst und wir sind langsam. Deshalb laufen unsere Ausstellungen auch über zwei Monate. Die Menschen - jung und alt -, die hier vorbeikommen bemerken, wenn gewechselt wird. Sie sagen: Ohje, jetzt ist das schon wieder vorbei! Wir haben uns gerade daran gewöhnt. Sie machen auch eine Hitparade der besten Ausstellungen.

DG: Natürlich ist es auch schwierig für die Passant*innen und Nachbar*innen, dass dieser Raum ab und zu wie ein leeres Gefäss aussieht. Für Manche ist das fast unerträglich. Es gab schon Einige mit besseren Ideen, was man «Richtiges» machen könnte. Oder einfach etwas, das rentiert.

GM: Wie es in Zukunft genau weiter gehen wird wissen wir – wie viele andere Kolleg*innen in Basel – auch nicht. Ich habe aber keine Angst. Natürlich sind wir immer noch sehr privilegiert und natürlich gehört die finanzielle Situation in der Schweiz mit zum Freiraum. Uns hat die Unterstützung der Kulturpauschale Basel-Stadt für ein Kunstprojekt 2020 und diejenige der Fondation Nestlé pour l’Art in der Vergangenheit eine ganze Weile geholfen, in schwierigen Zeiten zu bestehen. Grundlegend ist aber für uns und Hebel_121, dass wir lieber etwas ‚unter dem Radar‘ sind. Das ist interessanter und spannender deshalb, weil die Erwartungen ganz andere sind. Ansonsten ist jede Krise eine Katastrophe. Wir arbeiten nur mit Geld, mit Raum und Zeit, die wir haben. Wir setzen im Hebel_121 auf eine etwas andere Währung. Und das auch in Zukunft mit vollem Einsatz.

«Alles läuft low budget. Materialschlachten gibt es bei uns in diesem Sinne nicht. Wir kommunizieren das auch vorher. Unser Motto war immer, aus wenig etwas machen.»